Für immer verloren?

ALLE GROßEN GEBÄUDE VERFALLEN MIT DER ZEIT, SIE MÖGEN MIT KUNST UND ZIERRATEN,

ODER OHNE KUNST UND ZIERRATEN GEBAUET SEIN.

Gotthold Ephraim Lessing

Gutshäuser und Schlösser waren über viele Jahrhunderte bis zum Untergang Ostpreußens im Jahre 1945 Zentren des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens ihrer damaligen Besitzer, die hier ihren landwirtschaftlichen Grundbesitz bewirtschafteten und Tierzucht betrieben. Die prachtvollen Bauten, oft vom weltlichen aber auch vom kirchlichen Adel  errichtet, sind Zeugnisse der vergangenen Zeiten, erzählen baustilistisch vom jeweiligen Zeitgeschmack aber durchaus auch vom Reichtum ihrer Bewohner. Im Laufe der Zeiten erfolgten Umbauten, Erweiterungen durch Anbauten, Modernisierungen, nach Bränden oder Kriegszerstörungen der Wiederaufbau. Die Häuser waren stets der Mittelpunkt des Lebens auf den Gütern und sicherlich der ganzen Stolz ihrer Eigentümer.


In den 1920er Jahren gerieten einige Gutsbesitzer durch die Landwirtschaftskrise in finanzielle Not. Gesellschaften wie die Ostpreußische Landgesellschaft mbH Königsberg kauften die Ländereien auf. Die Güter wurden  „aufgesiedelt“, das heißt, die Flächen wurden aufgeteilt (parzelliert) und an Landarbeiter verpachtet beziehungsweise verkauft. Diese Siedler erhielten staatliche Kredite zum Erwerb ihrer Grundstücke und für den Bau von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden. Die ursprüngliche Gutsanlage mit Wohnhaus, Wirtschaftshof und dem nun kleineren landwirtschaftlichen Betrieb wurde Resthof genannt. Manche Gutshäuser dienten als Altersheim oder Landwirtschaftsschulen.

Gab es auch bereits vor dem Zweiten Weltkrieg staatliche Güter (Staatliche Domänen), ging nach Ende des Krieges sämtlicher landwirtschaftlicher Besitz in polnisches Staatseigentum über. Die einstigen Besitzer wurden enteignet und staatliche landwirtschaftliche Betriebe gegründet. Diese bewirtschafteten nicht nur die Ländereien und setzten die Tierzucht fort sondern übernahmen nach den Enteignungen auch die Wirtschaftshöfe und Gutshäuser, soweit diese nicht bereits im Krieg zerstört worden waren. Einige der Bauten fielen 1945 der blinden Zerstörungswut des russischen Militärs zum Opfer, das sich eine Zeit lang auf verschiedenen Gütern einquartiert hatte. So wurde loses Inventar gestohlen, zerschlagen oder verbrannt, Einbauten herausgerissen und ebenfalls verbrannt.

Die staatlichen Betriebe nutzten die einstigen Gutshäuser und Schlösser zweckentfremdet und bauten diese oft entsprechend ihrer neuen sozialen und kulturellen Funktionen um. In den Gebäuden richteten sie je nach Bedarf Verwaltungs- und Lagerräume, Büros und Wohnungen für die Angestellten ein. Kindergärten und Schulen hielten hier ebenso Einzug wie Kinder- und Behindertenheime. Es entstanden Ferien- und Erholungsheime wie zum Beispiel in Sorquitten. Einzelne Güter wurden wie in Dönhoffstädt zu Schulungszentren für Landwirte oder wie in Bansen zu einem sogenannten Mustergut, das als landwirtschaftliche Versuchsanstalt der Politischen Akademie der Wissenschaften Polens diente. Zum Erhalt der Gutshäuser wurden meist nur die notwendigsten Maßnahmen ergriffen. Ungenutzte Gebäude verfielen.

 1991 ging das Eigentum der ehemaligen staatlichen landwirtschaftlichen Betriebe in das Eigentum der neu gegründeten Agencja Własności Rolnej Skarbu Państwa (AWRSP) über, die die Übernahme, Umstrukturierung und Privatisierung dieser Betriebe zur Aufgabe hatte. Später übernahm dies deren Nachfolger Agencja Nieruchomości Rolnych (ANR).


In weiten Teilen des heutigen Ermland – Masuren ist das Leben weiterhin von der Landwirtschaft geprägt. Einstige Güter mit ihren Ländereien, Wirtschaftshöfen und Gutshäusern sind nun an Privatpersonen verpachtet oder verkauft.

Um einen Landwirtschaftsbetrieb zu führen, werden finanzielle Mittel zuvorderst für das Betreiben und den Erhalt des Betriebes eingesetzt. Oft bleibt dann nicht genügend Geld für die Instandhaltung der mitgepachteten beziehungsweise gekauften Gutshäuser. So finden sich baulich nur notdürftig gesicherte Gebäude, da deren finanzieller Erhalt weit unterschätzt wurde. Leerstehende Gutshäuser werden zum Teil von Fremden „ausgeweidet“, beginnend mit der Elektrik, den Türen und Böden bis hin zu Fallrohren, Dachziegeln und sogar Dachbalken. Über einen längeren Zeitraum verfallen dann diese Häuser schlussendlich. Und sind für immer verloren.

Aber es gibt auch die Gutshäuser, die wieder in altem Glanz erstrahlen. Weil deren Besitzer sich trotz der überaus strengen Richtlinien des polnischen Denkmalschutzes nicht von ihren Träumen abbringen ließen und ihre Häuser mit viel Durchhaltevermögen,  ihrem Mut, ihren Ideen und dem nötigen „Kleingeld“ zum Leben neu erweckt haben. Als Pensionen und Hotels erwarten die Gutshäuser ihre Bewohner auf Zeit. Als Mittelpunkt von Agrotourismus- und Reiterhöfen stehen sie für ihre Gäste bereit. Eines von ihnen erweitert als Naturkundemuseum den Horizont seiner Besucher. Der größte Teil der Gutshäuser dient jedoch wie in alten Zeiten ihren Besitzern einfach als Wohnraum, den sie sich erschaffen haben und der nun wie einst deren ganzer Stolz ist.